Gemeinschaftsdiagnose 2/2025. Expansive Finanzpolitik kaschiert Wachstumsschwäche

Weyerstrass, KlausORCID: https://orcid.org/0000-0002-5659-8991; Fortin, InesORCID: https://orcid.org/0000-0003-4517-455X; Koch, Sebastian P.ORCID: https://orcid.org/0000-0002-3946-7551; Grozea-Helmenstein, DanielaORCID: https://orcid.org/0000-0003-3904-7423 and Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (September 2025) Gemeinschaftsdiagnose 2/2025. Expansive Finanzpolitik kaschiert Wachstumsschwäche. [Research Report] 91 p.

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Abstract

Die deutsche Wirtschaft befand sich in den vergangenen zwei Jahren in der Rezession. Die jüngst stark revidierten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zeigen, dass die Krise deutlich ausgeprägter war als bislang ausgewiesen. Mit einer Stagnation in der ersten Hälfte dieses Jahres dürfte die deutsche Wirtschaft die konjunkturelle Talsohle erreicht haben.

Eine breit angelegte Erholung ist allerdings nicht zu erwarten, denn grundlegende strukturelle Schwächen dauern an. Die im internationalen Vergleich hohen Lohnstück- und Energiekosten, der Fachkräftemangel und eine weiterhin abnehmende Wettbewerbsfähigkeit lasten auf den Wachstumsperspektiven. Seit vergangenem Jahr hat ein kräftigerer privater und öffentlicher Verbrauch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung stabilisiert und die Wertschöpfung in den konsumnahen Dienstleistungsbereichen gestützt. Im Produzierenden Gewerbe lässt eine Belebung noch auf sich warten, was sich bis zuletzt auch in der weiterhin abnehmenden Investitionstätigkeit im Bereich der Ausrüstungen und im Bau niederschlägt.

Die von der neuen Bundesregierung erweiterten Verschuldungsregeln setzen in den kommenden Jahren expansive Impulse. Bei deren Quantifizierung müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Erstens dürften Mittel, beispielsweise für Baumaßnahmen, aufgrund von längeren Planungs-, Beschaffungs- und Vergabezeiten wohl deutlich langsamer abfließen als in den Haushaltsplänen der Bundesregierung unterstellt. Zweitens dürfte ein Teil der Kredite dazu dienen, eine Konsolidierung zu vermeiden, die im laufenden Jahr ohne Grundgesetzänderung hätte vorgenommen werden müssen. Drittens entsteht im Jahr 2027 trotz der verschobenen Mittel aus den erweiterten Kreditmöglichkeiten ein erheblicher Konsolidierungsbedarf, was den finanzpolitischen Impuls mindert.

Die Konjunktur dürfte in den kommenden zwei Jahren durch die expansive Finanzpolitik merklich an Fahrt gewinnen. Während die Dienstleistungsbereiche, insbesondere im öffentlichen Sektor, weiterhin kräftig zulegen, wird die Erholung im Produzierenden Gewerbe wohl nur verhalten ausfallen. Vor allem dürfte sich die Auslandsnachfrage nach deutschen Waren nicht zuletzt infolge der US-Zollpolitik weiterhin nur schleppend entwickeln. Die geplanten öffentlichen Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur können dies nur begrenzt abfedern, denn ein erheblicher Teil der Mittel fließt in gesamtwirtschaftlich kleine Bereiche, in denen die bestehenden Kapazitäten bereits gut ausgelastet sind. Insgesamt dürfte es in den kommenden beiden Jahren zu Kapazitätsausweitungen und entsprechenden privaten Investitionen in Bereichen kommen, die von den wirtschaftspolitischen Maßnahmen profitieren. Allerdings belasten die weiterhin unsicheren wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen das allgemeine Investitionsklima.

Das Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr mit einem Anstieg um 0,2 % kaum mehr als stagnieren. Im weiteren Prognosezeitraum dürfte die expansive Finanzpolitik die Konjunktur anschieben. Im kommenden Jahr steigt das Bruttoinlandsprodukt um 1,3 % und im Jahr 2027 um 1,4 %. Damit lassen die Institute ihre Prognose für das laufende und kommende Jahr im Vergleich zum Frühjahr in etwa unverändert.

Insgesamt ergibt sich ein anderes Konjunkturbild als in früheren Aufschwungphasen: Kräftige Zuwächse bei den Exporten fallen dieses Mal als Treiber aus. Gestützt durch die expansive Finanzpolitik konzentriert sich der Aufschwung in den kommenden Jahren auf die Binnenwirtschaft. Allerdings werden die strukturellen Probleme bislang nur kaschiert, denn grundlegende standortstärkende Reformen bleiben aus, sodass sich die Wachstumsperspektiven weiter verschlechtern. Das zeigt sich in der Schätzung des Produktionspotenzials, die unter Status-quo-Bedingungen weiter abnehmende Wachstumsraten auf 0,2 % bis zum Ende des Jahrzehnts erwarten lässt.

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist erheblichen Risiken ausgesetzt: Der Handelsstreit zwischen den USA und der EU birgt großes Eskalationspotenzial, insbesondere wenn EU-Zusagen nicht eingehalten werden können. Zudem sind die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen finanzpolitischer Impulse schwer abschätzbar und hängen stark von der konkreten Ausgestaltung ab. Ferner dürften fehlende Konsolidierungsmaßnahmen der Bundesregierung die Konjunktur zwar kurzfristig stützen, sie erhöhen aber die Gefahr wachsender struktureller Defizite und belasten das Vertrauen in die Nachhaltigkeit der Finanzpolitik. Positive Impulse könnten von angebotsseitigen Reformen ausgehen, die die Arbeitsanreize stärken und die Staatsmodernisierung voranbringen.

Item Type: Research Report
Funders: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Deutschland)
Research Units: Business Cycles, Growth and Public Finances
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Date Deposited: 29 Sep 2025 09:32
Last Modified: 29 Sep 2025 09:32
URI: https://irihs.ihs.ac.at/id/eprint/7304

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