Stell Dir vor, es ist Impfung und keiner geht hin - Was die Verhaltenswissenschaften zu einer besseren Annahme der Covid-19-Impfung beitragen können
Die Welt wartet sehnsüchtig auf die Impfung gegen Covid-19. Jetzt ist sie da – gleich mehrere Varianten sogar – und in verschiedenen Ländern werden bereits die ersten Impfungen durchgeführt. Eine gewisse Erleichterung ist spürbar, doch auch die Skepsis ist hoch und das Unbehagen gefühlt stärker als bei anderen Impfungen. Kann dies dazu führen, dass nicht genug Menschen bereit sind, die Impfung durchzuführen? Diese Frage betrachtet der Beitrag aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive und diskutiert Maßnahmen, die zu einer höheren Impfbereitschaft beitragen könnten.
Eine kürzlich von Karmasin Research & Identity veröffentliche Befragung (Profil, 2020) nährt die Befürchtungen, dass der Erfolg der Corona-Impfung durch mangelnde Impfbereitschaft gefährdet sein könnte. Nur 14% der österreichischen Bevölkerung wollen sich sicher impfen lassen. Weitere 36% sagen, dass sie sich wahrscheinlich impfen lassen, aber nicht als Erste/r. Zu den für das Erreichen von Herdenimmunität erforderlichen ca. 70% klafft hier noch eine deutliche Lücke. 21% sagen, dass sie sich sicher nicht impfen lassen und 29%, dass sie sich eher nicht impfen lassen und erst einmal abwarten wollen. Gerade die letzte Gruppe ist von großer Bedeutung. Hier herrscht zwar Skepsis, aber zumindest keine generelle Ablehnung. Es ist daher durchaus denkbar, dass diese Gruppe mit einer geeigneten Strategie letztlich doch noch von der Impfung überzeugt werden kann. Doch auch bei den 36%, die zu der Impfung tendieren (und letztlich auch bei den bereits überzeugten 14%) muss sichergestellt werden, dass der Vorsatz auch tatsächlich in die Tat umgesetzt wird.
Risikowahrnehmung, Gewohnheitseffekte und Pandemie-Müdigkeit
Covid-19, der Verlauf der Pandemie und auch die Impfung(en) selbst weisen eine Reihe von Eigenschaften auf, die sich negativ auf die Impfbereitschaft auswirken könnten (Hallsworth & Buttenheim, 2020). Dadurch, dass wir schon über einen längeren Zeitraum gezwungen sind, mit Corona zu leben und es auch zu vielen asymptomatischen oder nur gering symptomatischen Verläufen der Krankheit kommt, besteht die Gefahr, dass es zu einer verfälschten Risikowahrnehmung kommt. Verstärkt werden könnte dies durch eine Art Gewohnheitseffekt aufgrund des langen Verlaufs der Pandemie, der in einer fatalistischen Einstellung mündet („Wenn ich es bekomme, dann bekomme ich es eben – lässt sich ohnehin nicht vermeiden“). Heikel wird es besonders dann, wenn das Risiko einer schwerwiegenden Erkrankung unterschätzt wird, die Risiken der Impfung hingegen, da hier noch keine individuellen Erfahrungswerte vorliegen, überschätzt werden. Als problematisch erweisen könnte sich auch, wenn viele das Gefühl haben, durch Social Distancing, Maskentragen, den Verzicht auf Großveranstaltungen und die Lockdowns schon genug zur Bekämpfung der Pandemie beigetragen zu haben und dann nicht mehr bereit sind, den letzten Schritt der Impfung zu gehen. Die Tatsache, dass sich das Risiko einer schwerwiegenden Erkrankung zwischen unterschiedlichen Gruppierungen deutlich unterscheidet, kann ebenfalls dazu führen, dass das Risiko in weniger betroffenen Gruppierungen, z.B. bei jungen Menschen, als geringer wahrgenommen wird und dementsprechend die Impfbereitschaft niedrig ist. Verstärkt wird dieser Effekt möglicherweise durch die Tatsache, dass die Ausrollung der Impfung nach Dringlichkeit gestaffelt erfolgt. Zuletzt wirkt sich auch die Geschichte der Impfung selbst auf deren Wahrnehmung aus. Insbesondere geben die vergleichsweise kurzen Zeiträume von Entwicklung und Zulassung Raum für Befürchtungen, die Impfung könnte nicht ausreichend sicher sein und somit ein Risiko darstellen.
Evidenzbasierte Kommunikation
All diesen Faktoren kann mit einer effektiven Kommunikation begegnet werden. Wichtig ist dabei zunächst durch Befragungen oder ähnliche Instrumente einen genauen Einblick in die Sichtweisen, Wahrnehmungen und Einstellungen der Bevölkerung im Hinblick auf Covid-19 und die Impfung zu erhalten. Nur durch eine genaue Kenntnis, welche der oben genannten Faktoren tatsächlich von der Impfung abhalten und wie diese im Zusammenhang mit soziodemographischen und anderen relevanten Faktoren stehen, können eine effektive Kommunikationsstrategie entworfen und geeignete Maßnahmen gesetzt werden. Zudem besteht die Möglichkeit, systematische Unterschiede durch zielgruppenspezifische Kommunikation zu adressieren, um so einen möglichst großen Teil der Bevölkerung zu erreichen.
Einige allgemeine Erkenntnisse aus früheren Studien im Kontext von anderen Impfungen können auch auf die Corona-Impfung übertragen werden (für eine Übersicht, siehe WHO, 2020). Wesentlich ist beispielsweise, auf die Bedenken der Menschen einzugehen und den Zweck der Impfung, den Prozess der Zulassung, die Wirkweise sowie mögliche Nebenwirkungen transparent, konsistent, empathisch und proaktiv zu erklären. Dies gilt sowohl für die öffentlichkeitswirksame Kommunikation in Kampagnen als auch die direkte Kommunikation durch Gesundheitspersonal. Generelle Faktoren, die sich auf die Impfbereitschaft auswirken, sind das wahrgenommene Risiko und die Schwere der Erkrankung, Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung sowie Werte und Emotionen. Diese Faktoren können aktiv in der Kommunikation adressiert werden – unter Berücksichtigung bestimmter verhaltenswissenschaftlicher Phänomene, die sich im Hinblick auf Verhaltensänderungen als effektiv erwiesen haben. Um das Phänomen des antizipierten Bedauerns (anticipated regret) auszulösen, könnte beispielsweise auf die Auswirkungen verwiesen werden, die sich bei einer eigenen Infektion oder der Übertragung auf Familie und Freunde ergeben. Auch die positiven Auswirkungen, die sich durch die Impfung für Wirtschaft, Gesellschaft – aber auch die geimpfte Person selbst – ergeben, sollten direkt mit der konkreten Impfentscheidung verknüpft werden. Besonders wichtig ist auch das Richtigstellen von Mythen und Fehlinformationen.
Von Bedeutung ist auch, von wem eine bestimmte Botschaft überbracht wird (Dolan et al., 2010). Wenn die Person als kompetent, sympathisch und vertrauenswürdig wahrgenommen wird, ist man viel eher bereit, einer Aufforderung zu folgen. Öffentliche Aufforderungen und Ermutigungen, sich impfen zu lassen, sollten daher nicht nur durch die Politik kommuniziert werden, sondern auch durch Prominente, WissenschaftlerInnen und andere Personen des öffentlichen Lebens, mit denen sich die Menschen identifizieren können und die als kompetent und vertrauenswürdig wahrgenommen werden. Eine wesentliche Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der Botschaft ist, diese mit der eigenen – möglicherweise öffentlichkeitswirksam durchgeführten – Impfung zu verbinden.
Soziale Normen
Doch auch über die evidenzbasierte Gestaltung von Kommunikationsstrategien hinaus können verhaltenswissenschaftlich fundierte Maßnahmen potenziell zu einer Erhöhung der Teilnahme an der Corona-Impfung beitragen. Es ist beispielsweise bekannt, dass Menschen sich in ihrem Verhalten an sozialen Normen orientieren, also an der Wahrnehmung dessen, was die Mehrheit einer für sie relevanten Vergleichsgruppe tut bzw. für richtig zu tun befindet. Dieses Phänomen kann auch im Kontext der Corona-Impfung genutzt werden. Wer den Eindruck hat, dass die Mehrheit von Freunden, Familie und anderen Bezugspersonen der Impfung positiv gegenübersteht, sie für sicher und effektiv befindet und – besonders wichtig – sich selbst bereits hat impfen lassen, der wird auch selbst mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an der Impfung teilnehmen. Dieser Effekt lässt sich durch gezielte Maßnahmen noch verstärken (BIT, 2020). So könnte z.B. eine Kampagne gestartet werden, bei der die BürgerInnen selbst zu BotschafterInnen der Impfung werden, und ihr Umfeld im persönlichen Gespräch, durch Postings in den sozialen Medien oder durch das Anbringen von „Impfen ist wichtig“ Stickern auf persönlichen Gegenständen von der Teilnahme an der Impfung überzeugen.
Leichter Zugang und Defaults
Eine zentrale, wenig überraschende Erkenntnis der Verhaltenswissenschaften besagt, dass Menschen sich leichter von einer bestimmten Tätigkeit überzeugen lassen, wenn diese leicht durchzuführen und mit nur wenigen Barrieren verbunden ist. Diese Erkenntnis lässt sich auch auf das Impfen übertragen (siehe Schmidt et al., 2017, für eine Übersicht). Jede Hürde in Form von komplizierten oder zeitaufwändigen Registrierungsverfahren, langen Anreise- oder Wartezeiten, Unsicherheiten über den Ablauf des Prozess oder andere direkte oder indirekte Kosten werden die Anzahl der durchgeführten Impfungen reduzieren. Um eine hohe Teilnahmerate zu erreichen, muss der Zugang zu der Impfung so komfortabel, unkompliziert und einfach wie möglich gestaltet werden.
Ein weiteres, sehr wirkungsvolles Instrument ist der Einsatz von Defaults. So wissen wir aus Studien, dass eine automatische Anmeldung zu der betrieblichen Grippeimpfung die Teilnahmerate deutlich erhöht. Bei ProbandInnen, denen ein konkreter Termin zugewiesen wird (mit der Möglichkeit diesen abzusagen oder zu verschieben) liegt die Teilnahmequote bei durchschnittlich 45% im Vergleich zu 33% bei ProbandInnen, die sich aktiv für die Impfung anmelden müssen (Chapman et al., 2010). Auch wenn sich die Logistik bei der Corona-Impfung deutlich aufwändiger und herausfordernder gestaltet als bei der betrieblichen Grippeimpfung, ließen sich die Erkenntnisse möglicherweise übertragen – beispielsweise bei der Impfung von Gesundheitspersonal.
Stunde der Sozial- und Verhaltenswissenschaften
Große Anstrengungen und umfangreiche Ressourcen wurden in die Entwicklung einer Impfung gegen Covid-19 investiert. Doch der Kampf gegen Corona ist durch die erfolgreiche Entwicklung einer solchen noch nicht endgültig gewonnen. Nur wenn sich eine hinreichend große Anzahl an Menschen auch tatsächlich impfen lässt, kann der Pandemie der Schrecken genommen werden. Nach den beeindruckenden Erfolgen der medizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung schlägt für diesen letzten Schritt nun die Stunde der Sozial- und Verhaltenswissenschaften.
Literatur
BIT (2020). COVID-19 vaccines: what can we learn from a French experiment in care homes? The Behavioral Insights Team. Abrufbar unter: https://www.bi.team/blogs/the-covid-19-vaccine/
Chapman, G. B., Li, M., Colby, H., & Yoon, H. (2010). Opting in vs opting out of influenza vaccination. Jama, 304(1), 43-44.
Dolan, P., Hallsworth, M., Halpern, D., King, D., & Vlaev, I. (2010). MINDSPACE: influencing behaviour for public policy. Cabinet Office.
Hallsworth, M. & Buttenheim, A. (2020). Challenges Facing a COVID-19 Vaccine: A Behavioral Science Perspective. Behavioral scientist. Abrufbar unter: https://behavioralscientist.org/challenges-facing-a-covid-19-vaccine-a-behavioral-science-perspective/
Profil (2020). Corona: Was hilft gegen die Maßnahmen-Müdigkeit? Abrufbar unter: https://www.profil.at/oesterreich/corona-was-hilft-gegen-die-massnahmen-muedigkeit/401133243
Schmid, P., Rauber, D., Betsch, C., Lidolt, G., & Denker, M. L. (2017). Barriers of influenza vaccination intention and behavior–a systematic review of influenza vaccine hesitancy, 2005–2016. PloS one, 12(1), e0170550.
WHO (2020). Behavioural considerations for acceptance and uptake of COVID-19 vaccines: WHO Technical Advisory Group on Behavioural Insights and Sciences for Health, meeting report, 15 October 2020. Geneva: World Health Organization.
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